Orale Toleranz: Bedeutung und Aufbau für die Ernährung - Mensch und Hund
Definition der oralen Toleranz
Die orale Toleranz ist ein immunologischer Prozess, bei dem der Magen-Darm-Trakt – also der erste Kontakt des Immunsystems mit aufgenommener Nahrung – lernt, Nahrungsbestandteile als nützlich und harmlos einzuordnen. Das Ziel dieses Mechanismus ist es, allergische Reaktionen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu verhindern. Im Grunde trennt der Körper zwischen schädlichen Eindringlingen (wie Erregern) und nützlichen Nährstoffen, sodass er auf Letztere keine überschießende Immunreaktion entwickelt.
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Bedeutung im frühen Lebensstadium
Bereits im Welpenalter wird dieser Lernprozess initiiert. Während Welpen anfangen, feste Nahrung zu sich zu nehmen, wird der Verdauungstrakt mit neuen Substanzen konfrontiert. Wird dabei zu viel Verschiedenartiges auf einmal angeboten, kann das Erkennungssystem überfordert werden. Das hat zur Folge, dass einzelne Bestandteile nicht als „wertvoll“ erkannt werden und es später zu Unverträglichkeiten oder Allergien kommt. Ein gestaffelter, schonender Aufbau der oralen Toleranz (also zuerst nur eine neue Zutat pro Mahlzeit) unterstützt den Körper dabei, jede Zutat separat zu verarbeiten und einzuordnen.
Praktische Umsetzung im Fütterungsalltag
Um die orale Toleranz optimal zu fördern, empfiehlt sich ein schrittweiser Futterwechsel:
- Frühe Phase: Zunächst sollte das gewohnte Futter (z. B. das des Züchters) für einige Wochen beibehalten werden, da der Darm in dieser Phase noch sehr empfindlich auf Umstellungen reagiert.
- Beispiel: Welpenfutter des Züchters, ergänzt durch kleine Mengen gekochtes Hühnchen.
- Langsamer Übergang: Beim Umstieg auf festes Futter sollte immer nur eine neue Zutat eingeführt werden – idealerweise auch nicht mehrere Fleischarten oder diverse Bestandteile gleichzeitig. Damit wird vermieden, dass das Immunsystem überfordert wird.
- Beispiel: Gekochtes Putenfleisch, später ergänzt durch gekochte Karotten oder Reis.
- Kontinuierliche Beobachtung: Jede neue Zutat braucht mehrere Tage, in denen beobachtet wird, wie gut der Lebensmittelbestandteil vertragen wird. Erst bei positiver Rückmeldung folgt die nächste Zutat.
- Beispiel: Nach erfolgreicher Einführung von Putenfleisch und Karotten kann Süßkartoffel hinzugefügt werden.
- Zubereitungsvarianten beachten: Selbst wenn es sich um dasselbe Grundnahrungsmittel (zum Beispiel Putenfleisch) handelt, müssen unterschiedliche Zubereitungsarten (roh, gekocht, getrocknet) separat anerkannt werden, da sie den Erkennungsprozess des Körpers unterschiedlich beeinflussen.
- Beispiel: Gekochtes Putenfleisch, später roh oder getrocknet angeboten.
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Warum ist das wichtig?
Ein gezielter Aufbau der oralen Toleranz sorgt dafür, dass der Körper:
- Ernährungsbestandteile richtig einordnet: Jede neue Substanz wird einzeln und gründlich erkannt und als wertvoll eingestuft.
- Allergische Reaktionen vermeidet: Durch das kontrollierte Einführen neuer Zutaten wird das Risiko, dass das Immunsystem fälschlicherweise eine allergische Reaktion auslöst, deutlich reduziert.
- Langfristig robust bleibt: Hunde – und auch Menschenkinder – entwickeln so einen stabilen Schutz gegen potenzielle Allergene, ohne dass der Körper ständig in Alarmbereitschaft ist.
Übertragung auf den Menschen
Ähnliche Prinzipien gelten auch bei Babys und Kleinkindern. Moderne Empfehlungen raten dazu, nicht länger Allergene zu meiden, sondern diesen durch gezielte Frühfütterung eine Chance zu geben. So kann durch den kontrollierten Aufbau der oralen Toleranz das Risiko von IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien reduziert werden. Das bedeutet, dass dem Körper von Beginn an verschiedene, jedoch schrittweise eingestellte Nahrungsbestandteile angeboten werden, um eine gesunde Immunantwort zu fördern.
Weitere unterstützende Maßnahmen
Ergänzend zur schrittweisen Einführung neuer Nahrungsmittel kann der Einsatz von Hilfsstoffen wie Borretschöl sinnvoll sein. Borretschöl enthält Bestandteile, die auch in der Muttermilch vorkommen und den Prozess, neue Nahrungsbestandteile als „wertvoll“ zu erkennen, unterstützen können. Dies ist vergleichbar mit bewährten Methoden aus dem Management von Allergien, bei denen Kolostrumprodukte temporär zu einer Besserung beitragen – allerdings bleibt es essenziell, an der Ursache der Allergie oder Unverträglichkeit anzusetzen.
Dieser Ansatz zeigt, wie essenziell es ist, dem Körper Zeit und Raum zu geben, jede neue Nahrungskomponente zu erkennen und einzuordnen. So entsteht ein robustes System, das im Idealfall später sowohl eine Vielzahl an Nährstoffen problemlos akzeptiert als auch gleichzeitig vor echten Krankheitserregern schützt.